Liebe Mandantin, lieber Mandant,

auch im vergangenen Monat hat sich rund um Steuern, Recht und Betriebswirtschaft einiges getan. Über die aus unserer Sicht wichtigsten Neuregelungen und Entscheidungen halten wir Sie mit Ihren Mandanteninformationen gerne auf dem Laufenden. Zögern Sie nicht, uns auf einzelne Punkte anzusprechen, wir beraten Sie gerne!

Mit steuerlichen Grüßen

Inhaltsverzeichnis

Arbeitsrecht

1. Diskriminierende Formulierung in Absage auf Bewerbung: Entschädigungsanspruch

Die Absage auf die Bewerbung eines Mannes für die Stelle eines Bestückers mit Begründung, „unsere sehr kleinen, filigranen Teile sind eher etwas für flinke Frauenhände“ ist diskriminierend. Der abgelehnte Bewerber hat deshalb Anspruch auf eine Entschädigung.

Hintergrund

Der Arbeitgeber produziert und vertreibt Miniatur-Automodelle. Er suchte laut Stellenanzeige einen „Mitarbeiter (m/w/d)“ als Bestücker für Digitaldruckmaschinen. In der Tätigkeitsbeschreibung forderte er Fingerfertigkeit/Geschick, Deutschkenntnisse in Wort und Schrift, zuverlässiges, sorgfältiges und konzentriertes Arbeiten, Teamorientierung, Belastbarkeit und ausgeprägte Motivation. Ein gelernter Einzelhandelskaufmann bewarb sich ohne Erfolg auf die Stelle. In der Absage auf seine Bewerbung hieß es: „Unsere sehr kleinen, filigranen Teile sind eher etwas für flinke Frauenhände. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass Sie für diese Stelle nicht in Frage kommen.“

Der abgelehnte Bewerber machte geltend, er sei benachteiligt worden, weil er ein Mann ist. Dafür forderte er angemessene Entschädigung.

Entscheidung

Die Klage hatte vor dem LAG größtenteils Erfolg. Es entschied, dass der Bewerber einen Anspruch auf Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG hat. Aus Sicht des Gerichts wurde der gelernte Einzelhandelskaufmann im Bewerbungsverfahren unmittelbar diskriminiert. Der Arbeitgeber habe aufgrund der Bilder im Internet von seinen Händen nicht auf mangelnde Fingerfertigkeit schließen dürfen. Allein aus dem Grund, dass er ein Mann ist, habe er keine Gelegenheit bekommen, bei einer Probearbeit nachzuweisen, dass er zu der kleinteiligen Arbeit fähig ist. Anhaltspunkte für ein rechtsmissbräuchliches Verhalten des Bewerbers konnte das LAG vorliegend nicht erkennen. Als angemessene Entschädigung legte es 2.500 EUR fest.

2. Gesetzliche Unfallversicherung: Handgreiflichkeit im Straßenverkehr abgedeckt?

Ein Streit und eine körperliche Auseinandersetzung mit einem anderen Verkehrsteilnehmer auf dem Weg zur Arbeit oder auf Betriebswegen wird nicht von der gesetzlichen Unfallversicherung abgedeckt.

Hintergrund

Ein angestellter Baustellenleiter, der mit seinem Auto auf das Betriebsgelände seines Arbeitgebers fahren wollte, wurde daran von einem Lkw-Fahrer gehindert. Dieser hatte die Einfahrt zugeparkt. Der Baustellenleiter betrat das Firmengelände daraufhin zu Fuß, um Werkzeug zu verladen. Als er wieder in Richtung seines Autos ging, stellte er den Lkw-Fahrer zur Rede und es kam zur Eskalation. Nach einem zunächst verbalen Streit schlug der Lkw-Fahrer den Baustellenleiter hart ins Gesicht. Dieser erlitt eine Mittelgesichtsfraktur, die operiert werden musste.

Die beklagte gesetzliche Unfallversicherung weigerte sich, für den Schaden einzustehen. Der Baustellenleiter habe zum Zeitpunkt des Unfalls zwar zum Kreis der nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII versicherten Personen gehört. Zum Unfallzeitpunkt sei er allerdings nicht einer unfallversicherten Tätigkeit nachgegangen, da er sich von der eigentlich versicherten Tätigkeit gelöst habe. Dagegen klagte der Baustellenleiter.

Entscheidung

Das KG Berlin sah in dem Unfall ebenso keine versicherte Tätigkeit. Es stünden nämlich nicht alle Wege, die ein Beschäftigter während der Arbeitszeit und/oder auf der Arbeitsstätte zurücklegt, unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Versichert seien nur solche Wege, bei denen ein sachlicher Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Zurücklegen des Weges gegeben ist, weil der Weg durch die Ausübung des Beschäftigungsverhältnisses oder den Aufenthalt auf der Betriebsstätte bedingt ist.

Nach Einschätzung des Gerichts kam es mit dem Zur-Rede-Stellen des Lkw-Fahrers zu einer Unterbrechung der versicherten Tätigkeit. Ab diesem Moment habe das Handeln des Klägers privaten Zwecken gedient. Denn Streit und Schlägereien mit anderen Verkehrsteilnehmern sind unabhängig vom Verschulden dem privaten Lebensbereich zuzuordnen. Das Zurechtweisen anderer Verkehrsteilnehmer auf dem Weg zur Arbeit oder auf Betriebswegen dient nicht der betrieblichen Tätigkeit.

GmbH-Gesellschafter/-Geschäftsführer

1. GmbH: Wann haftet ein Geschäftsführer bei Unfähigkeit?

Im Rahmen einer Haftungsinanspruchnahme kann sich der Geschäftsführer einer GmbH nicht darauf berufen, dass er aufgrund seiner persönlichen Unfähigkeit nicht in der Lage war, den Aufgaben eines Geschäftsführers nachzukommen.

Hintergrund

A war alleiniger Geschäftsführer der A-GmbH vom Zeitpunkt ihrer Gründung in 2002 bis April 2012. Faktischer Geschäftsführer der GmbH war sein Sohn B, der formal als Prokurist der GmbH angestellt war. Im April 2012 übernahm der Enkelsohn C die Geschäftsführung.

Eine Fahndungsprüfung bei der GmbH kam zu dem Ergebnis, dass A und B Umsatzsteuer, Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer für die Jahre 2004 bis 2011 verkürzt hätten. A habe in Kenntnis aller Umstände zumindest geduldet, dass B als faktischer Geschäftsführer Scheinrechnungen nicht existierender Firmen und beleglose Buchungen für angebliche Wareneinkäufe und Fremdleistungen in die Buchführung der GmbH eingestellt und zur Grundlage der Jahressteuererklärungen und Umsatzsteuer-Voranmeldungen gemacht habe. Den Rechnungen hätten keine realen Leistungen zugrunde gelegen.

Das Finanzamt erließ im Jahr 2012 entsprechende Änderungsbescheide gegenüber der GmbH. Diese wurden nicht angefochten und sind damit bestandskräftig geworden.

Im Jahr 2014 nahm das Finanzamt den A wegen Steuerschulden der GmbH für 2005 bis 2012 nach §§ 191, 69, 71 und 370 AO in Haftung. Das FG bestätigte die Haftung des A und wies dessen Klage gegen den Haftungsbescheid ab.

Entscheidung

Der BFH wies die Revision als unbegründet zurück. A haftet als Geschäftsführer der GmbH, da er schuldhaft für die GmbH keine bzw. unzutreffende Steuererklärungen eingereicht und nicht dafür gesorgt hat, dass die fälligen Steuern beglichen wurden.

Der Geschäftsführer einer GmbH kann die steuerlichen Angelegenheiten der GmbH Hilfspersonen übertragen. Er bleibt jedoch verpflichtet, diese sorgfältig auszuwählen und laufend zu überwachen. Mangelhaftes Überwachen der zur Pflichterfüllung herangezogenen Personen ist regelmäßig als grob fahrlässige Pflichtverletzung („Überwachungsverschulden“) zu werten. An die Überwachungsmaßnahmen eines Geschäftsführers sind umso höhere Anforderungen zu stellen, je weniger er die zuverlässige Erledigung der steuerlichen Angelegenheiten der Gesellschaft durch Hilfspersonen beurteilen kann. Hiervon ausgehend liegt im Streitfall mangelnde Überwachung vor. A hat die faktische Geschäftsführung durch seinen Sohn (B) geduldet und ihm das „Tagesgeschäft“ überantwortet. Er hat sich um die Geschäftsführung der GmbH tatsächlich nicht gekümmert. Er hat insbesondere auch keine geeigneten Aufsichtsmaßnahmen ergriffen, mit denen er hätte sicherstellen können, dass die steuerlichen Pflichten der GmbH ordnungsgemäß und rechtzeitig erfüllt worden wären.

A hätte außerdem durch einen Blick in die Buchführung durchaus erkennen können, dass beleglose Buchungen getätigt worden waren.
Soweit A geltend machte, er wäre aufgrund seiner persönlichen Kenntnisse und Fähigkeiten und insbesondere wegen seines fortgeschrittenen Alters gar nicht in der Lage gewesen, „Geschäftsvorfälle in der Firmen-EDV nachzuvollziehen“, kann er sich damit nicht entschuldigen. Sollte dies zutreffen, so hätte er die Geschäftsführung der GmbH gar nicht erst übernehmen bzw. die faktische Geschäftsführung durch seinen Sohn nicht dulden dürfen. Denn wer den Anforderungen an einen gewissenhaften Geschäftsführer nicht entsprechen kann, muss von der Übernahme des Geschäftsführeramtes absehen bzw. dieses Amt niederlegen

2. „Sinnlose“ Erklärung kann in einen Einspruch umgedeutet werden

„Sinnlose“ Verfahrenserklärungen können in einen Einspruch umgedeutet werden, wenn der sinnlosen Erklärung nach ihrer Intention und rechtlichen Wirkung nur durch eine Umdeutung Rechnung getragen werden kann.

Hintergrund

Im Rahmen eines Anhörungsverfahrens zur möglichen Haftungsinanspruchnahme für Steuerrückstände einer GmbH teilte der vom Kläger bevollmächtigte Rechtsanwalt dem Finanzamt mit, dass er die maßgebenden Zahlen zeitnah einreichen würde. Nachdem innerhalb der vom Bevollmächtigten mitgeteilten Rückmeldefrist keine Unterlagen beim Finanzamt eingegangen waren, erließ es einen an den Kläger adressierten Haftungsbescheid.

Am letzten Tag der Einspruchsfrist legte der Bevollmächtigte dem Finanzamt die seinerzeit in Aussicht gestellten Zahlen vor und erklärte, dass eine Benachteiligung des Finanzamts nicht ersichtlich sei. Auf Nachfrage des Finanzamts teilte der Bevollmächtigte mit, dass ihm nicht bekannt gewesen sei, dass bereits ein Haftungsbescheid ergangen sei. Das als Stellungnahme zum Anhörungsverfahren gedachte Schreiben sei nach dem objektiven Empfängerhorizont daher als Einspruch zu werten. Hilfsweise beantragte der Bevollmächtigte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und legte „erneut“ Einspruch ein. Das Finanzamt ist dem nicht gefolgt und hat den Einspruch als unzulässig verworfen.

Entscheidung

Das FG hat entschieden, dass das Finanzamt den Einspruch zu Unrecht als unzulässig verworfen hat, da fristgerecht Einspruch eingelegt worden sei.

Zwar könne das am letzten Tag der Einspruchsfrist eingegangene Schreiben des Bevollmächtigten nicht als Einspruch ausgelegt werden, weil der wirkliche Wille des Bevollmächtigten nicht auf die Anfechtung des Haftungsbescheids gerichtet gewesen sein könne, da er zum damaligen Zeitpunkt über dessen Existenz keine Kenntnis gehabt habe. Das Schreiben sei jedoch in Anlehnung an den Rechtsgedanken des § 140 BGB in einen Einspruch umzudeuten.

Erkennbares und unstreitiges Ziel der vom Bevollmächtigten am letzten Tag der Einspruchsfrist abgegebenen Stellungnahme sei die Verhinderung der (vollständigen) Haftungsinanspruchnahme des Klägers gewesen. Dieses Ziel habe nach Erlass des Haftungsbescheids nur durch dessen Anfechtung erreicht werden können. Es sei kein vernünftiger Grund ersichtlich, weshalb der Bevollmächtigte nicht gegen die Haftungsbescheide Einspruch eingelegt hätte, wenn der die verfahrensrechtliche Situation gekannt hätte.

Der Umdeutung stehe nicht entgegen, dass das in Rede stehende Schreiben von einem Rechtsanwalt verfasst worden sei. Zwar sei es ein Gebot der Rechtssicherheit, Rechtskundige wie Angehörige der steuerberatenden Berufe oder Rechtsanwälte mit ihren Verfahrenshandlungen beim Wort zu nehmen. Hiervon sei aber dann eine Ausnahme zu machen, wenn dem Rechtskundigen – wie vorliegend – die tatsächliche Verfahrenssituation nicht bekannt gewesen sei.

3. Vorliegen einer Organschaft auch bei Mehrheitsbeteiligung ohne Stimmrechtsmehrheit

Eine finanzielle Eingliederung liegt auch dann vor, wenn die erforderliche Willensdurchsetzung dadurch gesichert ist, dass der Gesellschafter zwar über nur 50 % der Stimmrechte verfügt, er aber eine Mehrheitsbeteiligung am Kapital der Organgesellschaft hält und er den einzigen Geschäftsführer der Organgesellschaft stellt (Änderung der Rechtsprechung).

Hintergrund

Gesellschafter der B-GmbH waren A zu 51 % und C (ein eingetragener Verein) zu 49 %. Alleiniger Geschäftsführer der B-GmbH war Herr E, der zugleich Alleingeschäftsführer der A und geschäftsführender Vorstand des C war. Nach dem (für das Streitjahr geltenden) Gesellschaftsvertrag der B-GmbH standen beiden Gesellschaftern (A und C) in der Gesellschafterversammlung jeweils 7 Stimmen zu, d. h. es bestand zwar eine Mehrheitsbeteiligung der A (51 %), aber mit nur 50 % der Stimmrechte keine Stimmrechtsmehrheit.

Das Finanzamt war der Auffassung, im Streitjahr habe zwischen A und der B-GmbH wegen fehlender finanzieller Eingliederung der B-GmbH in das Unternehmen der A keine Organschaft bestanden. A sei zwar mit 51 % mehrheitlich am Gesellschaftskapital der B-GmbH beteiligt gewesen, habe aber mit nur 50 % Stimmrechtsanteil bei der B-GmbH keine Beschlüsse durchsetzen können. Die von der B-GmbH ausgeführten Umsätze gegenüber Dritten und ihre Leistungen gegenüber A seien damit bei der B-GmbH als Unternehmerin zu erfassen und ihr sei der Vorsteuerabzug zu gewähren.

Das FG widersprach dem Finanzamt und gab der Klage mit der Begründung statt, das vom Finanzamt – über die Mehrheitsbeteiligung hinausgehende – Erfordernis einer Stimmrechtsmehrheit werde für die Anerkennung einer Organschaft nicht vorausgesetzt.

Entscheidung

Der BFH bestätigte die Auffassung des FG. Die Revision des Finanzamts wurde zurückgewiesen. Da es sich bei der B-GmbH um eine Organgesellschaft i. S. v. § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG handelt, hat nicht sie, sondern ihr Organträger (A) die von ihr ausgeführten Umsätze zu versteuern.

Die sich aus § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG ergebende Steuerschuldnerschaft des Organträgers für die Umsätze der Organschaft ist unionsrechtskonform. Unionsrechtlich kann der nationale Gesetzgeber den Organträger zum einzigen Steuerpflichtigen einer Gruppe von Personen, die zwar rechtlich unabhängig, aber durch gegenseitige finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Beziehungen eng miteinander verbunden sind, bestimmen, wenn der Organträger in der Lage ist, seinen Willen bei den anderen Mitgliedern dieser Gruppe durchzusetzen, und wenn diese Bestimmung nicht zur Gefahr von Steuerverlusten führt.

Diese beiden Voraussetzungen erfüllt das nationale Recht. Denn zum einen setzt § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG voraus, dass der Organträger seinen Willen durchsetzen kann. Zum anderen kommt es wegen der Haftung der Organgesellschaften für die Steuern des Organträgers nach § 73 AO nicht zur Gefahr von Steuerverlusten.

Nach der bisherigen Rechtsprechung des BFH muss der Organträger für eine finanzielle Eingliederung i. S. v. § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG über die Mehrheit der Stimmrechte verfügen, sofern keine höhere qualifizierte Mehrheit für Beschlüsse in der Organgesellschaft erforderlich ist. Eine Sperrminorität (von z. B. 50 % der Stimmrechte) reicht danach nicht aus. Weicht die kapitalmäßige Beteiligung von den Stimmrechten ab (z. B. aufgrund „stimmrechtsloser Geschäftsanteile“), ist auf das Verhältnis der gesellschaftsrechtlichen Stimmrechte abzustellen.

Aufgrund der mit dem vorliegenden Urteil nunmehr geänderten Rechtsprechung liegt eine finanzielle Eingliederung aber auch dann vor, wenn die erforderliche Willensdurchsetzung dadurch gesichert ist, dass der Gesellschafter zwar über nur 50 % der Stimmrechte verfügt, er aber eine Mehrheitsbeteiligung am Kapital der Organgesellschaft hält und er den einzigen Geschäftsführer der Organgesellschaft stellt. Damit wird die schwächer ausgeprägte finanzielle Eingliederung durch eine besonders stark ausgeprägte organisatorische Eingliederung ausgeglichen. Aufgrund des Weisungsrechts, das der Gesellschafterversammlung gegenüber der Geschäftsführung zusteht und das nach Stimmrechten auszuüben ist, wird im Grundsatz an der bisherigen BFH-Rechtsprechung festgehalten.

Gleichwohl erscheint es gerechtfertigt, eine Mehrheitsbeteiligung trotz Stimmrechten von nur 50 % als lediglich schwächer ausgeprägte finanzielle Eingliederung anzusehen, wenn sie (wie im Streitfall) durch eine Personenidentität in den Geschäftsführungsorganen von Mehrheitsgesellschafter und GmbH und damit durch eine besonders stark ausgeprägte organisatorische Eingliederung ausgeglichen wird. Dann kann der Organträger seinen Willen bei der laufenden Geschäftsführung durchsetzen und mit Hilfe seiner Stimmrechte i. H. v. 50 % eine abweichende Weisung durch die Gesellschafterversammlung verhindern, so dass es ihm auch möglich ist, die Umsätze der Organgesellschaft ordnungsgemäß zu versteuern und den sich aus der wirtschaftlichen Tätigkeit der Organgesellschaft ergebenden sonstigen umsatzsteuerrechtlichen Verpflichtungen nachzukommen.

Im Streitfall ermöglicht die Mehrheitsbeteiligung der A an der B-GmbH die rechtssichere Bestimmung der A als Organträgerin, da C als Minderheitsgesellschafter von der Stellung als Organträger ausgeschlossen ist. Die für das Vorliegen einer Organschaft erforderliche Möglichkeit der A, bei der B-GmbH ihren Willen durchzusetzen, ergibt sich aus der Identität des Alleingeschäftsführers der A und der B-GmbH, die zu einer stark ausgeprägten organisatorischen Eingliederung der B-GmbH führt.

Kapitalanlage & Versicherung

1. Keine Identität zwischen einer Erbengemeinschaft und aus den Miterben gebildete GbR

Im Verfahren der gesonderten und einheitlichen Feststellung sind eine Erbengemeinschaft und eine aus den Miterben gebildete GbR als jeweils selbstständige Feststellungssubjekte zu behandeln. Bestehen beide Feststellungssubjekte fort, ist für jedes ein eigenständiges Feststellungsverfahren durchzuführen.

Hintergrund

Die XY GbR Grundstücksgemeinschaft soll nach den Feststellungen des FG aus einer Erbengemeinschaft hervorgegangen sein. Die Gesellschafter der XY (A, B, C) sind Geschwister. Sie erbten in 2005 diversen Grundbesitz, u. a. das D-Grundstück (auf dem die D-GmbH ihr Hotel betreibt), das Grundstück E-Straße sowie sämtliche Geschäftsanteile an der D-GmbH. A und C übertrugen ihre Geschäftsanteile an der D-GmbH in 2011 auf B.

Das FG ging davon aus, dass zwischen den Beteiligten unstreitig vom Erbanfall bis zu dieser Übertragung eine Betriebsaufspaltung zwischen der XY und der D-GmbH bestanden habe. Nach Übertragung aller Geschäftsanteile auf B soll nach den Feststellungen des FG die XY ihr Verpächterwahlrecht ausgeübt haben.

Die Geschwister planten die Bebauung des ererbten Grundstücks E-Straße mit einem Mehrfamilienhaus sowie den Erwerb des Erbbaurechts an dem weiteren (bebauten) Grundstück G-Straße zum Umbau in Wohnungen.

Zur Finanzierung schlossen sie (bezeichnet als „in GbR“) mit der Sparkasse (S) einen Zins- und Währungsswap, nach dem sie sich verpflichteten, an die S einen festen Zinssatz auf 1,62 Mio. CHF zu zahlen. Im Gegenzug verpflichtete sich die S, an A, B, C einen variablen Zins auf 1 Mio. EUR zu zahlen. Zum Ende der Swap-Laufzeit (2017) sollte ein Kapitaltausch dergestalt vorgenommen werden, dass A, B, C 1,62 Mio. CHF an die S und diese 1 Mio. EUR an die Geschwister zahlen. Daneben nahmen die Geschwister weitere Darlehen bei S auf (u. a. am 31.8.2007 ein Darlehen von 750.000 EUR).

Die XY ordnete ihre Mieteinnahmen aus diversem Grundbesitz als Überschüsse teilweise den Einkünften aus Gewerbebetrieb und teilweise den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung zu.

Hinsichtlich des noch streitigen Währungsswaps war das Finanzamt der Auffassung, der Swap sei als Termingeschäft i. S. d. § 15 Abs. 4 Satz 3 EStG einzuordnen. Das Swap-Geschäft sei nicht den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung zuzurechnen, da wegen des zeitlichen Abstands kein unmittelbarer Zusammenhang zwischen Swap (30.1.2007) und Darlehensvertrag über 750.000 EUR (31.8.2007) bestehe.

Das FG gab der hiergegen gerichteten Klage statt. Die Einnahmen und Aufwendungen aus dem Swap seien nicht den Einkünften aus Gewerbebetrieb zuzuordnen, sondern den aus dem Grundstück E-Straße erzielten Einkünften aus Vermietung und Verpachtung, wo sie keiner Abzugsbeschränkung unterlägen. Der Swap sei sowohl subjektiv dazu bestimmt als auch objektiv dazu geeignet gewesen, das Zinsänderungsrisiko aus dem bereits geplanten und am 31.8.2007 aufgenommenen Darlehen von 750.000 EUR abzusichern.

Entscheidung

Der BFH hob das FG-Urteil auf und verwies die Sache an das FG zurück. Der BFH konnte aufgrund der bisherigen tatsächlichen Feststellungen des FG nicht entscheiden, ob bzw. inwieweit die streitbefangenen Feststellungen für das „richtige“ Feststellungssubjekt getroffen wurden. Denn das FG hat nicht näher untersucht, ob bzw. in welchen Streitjahren 2 eigenständige Feststellungssubjekte, nämlich die XY als GbR und eine Erbengemeinschaft, bestehend jeweils aus denselben natürlichen Personen (den Geschwistern A, B, C) als Gesellschafter bzw. als Miterben, existiert haben oder ob für alle Streitjahre nur von einem Feststellungssubjekt, nämlich der XY, auszugehen ist. Je nach Beantwortung dieser Frage ergeben sich unterschiedliche steuerliche Folgerungen.

Das FG hat einerseits festgestellt, die Geschwister A, B, C hätten diversen Grundbesitz geerbt und „in Erbengemeinschaft“ verschiedene Darlehen aufgenommen. Andererseits hat das FG festgestellt, die XY sei als GbR, bestehend aus den Gesellschaftern A, B, C, aus einer Erbengemeinschaft „hervorgegangen“. Allein diese Feststellungen tragen nicht die Würdigung des FG, sämtliche streitbefangenen Feststellungen seien allein für die XY (GbR) als „richtiges“ Feststellungssubjekt zu treffen.

Die rechtlichen Unterschiede zwischen einer auf Erbauseinandersetzung angelegten Erbengemeinschaft und einer auf einen gemeinsamen Zweck ausgerichteten GbR schließen einen identitätswahrenden Formwechsel einer Erbengemeinschaft in eine GbR nach dem UmwG aus. In Betracht kommt lediglich eine „Umwandlung“ in eine GbR im Wege der Einzelrechtsnachfolge durch Gründung der Gesellschaft und Einlageleistung. Erforderlich ist dafür neben einem gemeinsamen Willen ein Gesellschaftsvertrag, der bei der Verpflichtung zur Einbringung des erbengemeinschaftlichen Grundbesitzes notariell beurkundet werden muss.

Es fehlen somit ausreichende Feststellungen zu einer wirksamen Auseinandersetzung der Erben dahin, unter Einsatz des Gesamthandsvermögens der (bisherigen) Erbengemeinschaft einen gemeinsamen Zweck im Rahmen der XY als bereits bestehender oder neu gegründeter GbR zu verfolgen. Damit lässt sich nicht beurteilen, ob bzw. in welchen Streitjahren die Erbengemeinschaft noch neben der XY als GbR bestand oder ob das Finanzamt (unter der Annahme einer bereits erfolgten Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft) für die Streitjahre zu Recht nur Feststellungen allein für die XY GbR getroffen hat.

Das FG hat daher zu prüfen, ob bzw. in welchen Streitjahren neben der XY als GbR auch die Erbengemeinschaft weiter rechtlich existiert hat. Soweit von zwei eigenständigen Feststellungssubjekten auszugehen sein sollte, wird festzustellen sein, welche Immobilien welchem Feststellungssubjekt gehören.

2. Vorbehalte in Bezug auf eine Pensionszusage sind steuerschädlich

Enthält eine Pensionszusage einen Vorbehalt, nach dem die Pension gemindert oder entzogen werden kann, ist die Bildung einer Rückstellung steuerrechtlich zwar grundsätzlich zulässig. Voraussetzung ist aber, dass der Vorbehalt ausdrücklich einen nach der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung anerkannten, eng begrenzten Tatbestand normiert, der nur ausnahmsweise eine Minderung oder einen Entzug der Pensionsanwartschaft oder Pensionsleistung gestattet.

Hintergrund

Die X-KG führte in 2003 eine betriebliche Altersversorgung mit Gehaltsumwandlung in Form der Direktzusage für ihre Mitarbeiter ein. Die Höhe der Versorgungsleistung ergibt sich nach einer Betriebsvereinbarung aus sog. Versorgungsbausteinen, die aus einer „Transformationstabelle“ (beruhend auf einer dort nicht genannten mathematischen Formel, unter Berücksichtigung einer Verzinsung und biometrischer Faktoren) abgeleitet werden können.

Die Betriebsvereinbarung enthält den Vorbehalt, dass die Transformationstabelle und der Zinssatz von der KG einseitig durch eine nachfolgende Transformationstabelle unter Beachtung der Wertgleichheit ersetzt werden können. Die Ersetzung war erstmals möglich mit Ablauf des 31.12.2007.

Wegen dieses Vorbehalts anerkannte das Finanzamt die Rückstellungen nur teilweise an.

Mit dem Finanzamt sah auch das FG den Vorbehalt als steuerschädlich an und wies die Klage ab.

Entscheidung

Der BFH bestätigt das FG-Urteil. Der Vorbehalt verhindert eine (weiter gehende) Rückstellungsbildung. Wegen des dem Arbeitgeber (X-KG) eingeräumten freien Ermessens kann die Rückstellung nicht anerkannt werden. Dem steht nicht entgegen, dass nach der Betriebsvereinbarung die Transformationstabelle erstmals nach Ablauf des 31.12.2007 ersetzt werden konnte.

Der Gesetzeszweck des § 6a EStG besteht darin, Unklarheiten hinsichtlich der maßgeblichen Faktoren für die Bildung einer Pensionsrückstellung zu vermeiden. Deshalb ist § 6a Abs. 1 Nr. 2 EStG dahin zu verstehen, dass die Bildung einer Rückstellung steuerrechtlich nur dann zulässig sein soll, wenn ein mit der Pensionszusage verbundener Vorbehalt positiv (also ausdrücklich) einen nach der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung anerkannten, eng begrenzten Tatbestand normiert, der nur ausnahmsweise eine Minderung oder einen Entzug der Pensionsanwartschaft oder Pensionsleistung gestattet. Denn ein solcher Vorbehalt hat kein allgemein lastminderndes Gewicht.

Uneingeschränkte Widerrufsvorbehalte oder Vorbehalte, deren Zuordnung oder arbeitsrechtliche Anerkennung nicht von vorneherein eindeutig zu bejahen ist, sind daher schädlich.

Der BFH widerspricht damit der in der Literatur vertretenen Auffassung, sämtliche Widerrufsvorbehalte seien steuerunschädlich, weil nach der aktuellen arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung Widerrufsvorbehalte nur noch nach billigem Ermessen zulässig und damit die Voraussetzungen des (aus diesem Grund auch überflüssigen) § 6a Abs. 1 Nr. 2 EStG stets zu bejahen seien. Wegen der bereits zum Bilanzstichtag erforderlichen Klarheit hinsichtlich der für die Bildung einer Pensionsrückstellung maßgeblichen Faktoren darf die Formulierung einer Pensionszusage nicht in das Belieben des Arbeitgebers gestellt werden.

Hiervon ausgehend hat das FG die Rückstellungsbildung zutreffend verneint. Durch die einseitige Ersetzung der Transformationstabelle und des Zinssatzes stand die Änderung der Pensionszusage im Belieben des Arbeitgebers (X-KG). Denn der Vorbehalt normiert nicht positiv (d. h. ausdrücklich) einen nach der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung anerkannten, eng begrenzten Tatbestand, der nur ausnahmsweise eine Minderung oder einen Entzug der Pension gestattet. Der in der Betriebsvereinbarung enthaltene Hinweis, dass das in § 1 Abs. 2 Nr. 3 BetrAVG normierte Gebot der Wertgleichheit zu beachten sei, führt zu keinem anderen Verständnis. Denn ob und ggf. inwieweit das dem Arbeitgeber ausdrücklich eingeräumte freie Ermessen bei einer möglichen Ersetzung von Transformationstabelle und Zinssatz durch den Bezug auf das Gebot der Wertgleichheit eingeschränkt sein könnte, lässt sich der Betriebsvereinbarung nicht entnehmen.

Lohn und Gehalt

1. Biogasanlage zur Erzeugung von Biogas aus Biomasse: Wie wird die Wärmeabgabe besteuert?

Bezüglich der Umsatzbesteuerung der Wärmeabgabe aus einer Biogas-Anlage hat der BFH dem EuGH Fragen zur Auslegung von Art. 16 und Art. 74 MwStSystRL zur Vorabentscheidung vorgelegt.

Hintergrund

Die Klägerin betreibt eine Biogasanlage zur Erzeugung von Biogas aus Biomasse. Der so produzierte Strom wurde im Jahr 2008 (Streitjahr) überwiegend in das allgemeine Stromnetz eingespeist und von dem Stromnetzbetreiber vergütet. Die ebenfalls erzeugte Wärme diente zu einem Teil dem Produktionsprozess. Den überwiegenden Teil der Wärme überließ die Klägerin dem Unternehmer A „kostenlos“ zur Trocknung von Holz und der B GbR (B) zur Beheizung ihrer Spargelfelder. In den Verträgen mit A und B ist geregelt, dass die Höhe der Vergütung je nach wirtschaftlicher Lage des Wärmeabnehmers individuell vereinbart und in den Verträgen nicht festgelegt werde.

Im Streitjahr erhielt die Klägerin für Stromlieferung vom Stromnetzbetreiber neben der Mindest-Einspeisevergütung nach § 8 Abs. 1 EEG einen Erhöhungsbetrag nach § 8 Abs. 3 EEG (sog. Kraft-Wärme-Kopplung (KWK)-Bonus). Auch dieser KWK-Bonus i. H. v. 85.070,66 EUR wurde entsprechend der Umsatzsteuererklärung der Klägerin vom Finanzamt in die Bemessungsgrundlage der steuerpflichtigen Umsätze einbezogen.

Da die Klägerin den Wärmeabnehmern kein Entgelt in Rechnung stellte, ging der Prüfer im Rahmen einer bei der Klägerin durchgeführten Außenprüfung von einer unentgeltlichen Entnahme der Wärme i. S. v. § 3 Abs. 1b Satz 1 Nr. 3 UStG an A und B aus. Mangels eines Einkaufspreises für Wärme berechnete er die Bemessungsgrundlage für diese Entnahme nach § 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 UStG nach den Selbstkosten.

Mit ihrer ursprünglichen Klage machte die Klägerin u. a. geltend, der KWK-Bonus sei ein Entgelt von dritter Seite. Das FG gab der Klage der Klägerin im ersten Rechtsgang statt. Auf die Revision des Finanzamts hob der BFH das Urteil des FG auf und wies die Sache an das FG zurück.

Im zweiten Rechtsgang wendete sich die Klägerin u. a. im Hinblick auf die Bemessungsgrundlage für die Wärmelieferungen gegen die Berechnung des Finanzamts, das diese Wertabgabe gem. § 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 UStG nach den Selbstkosten ermittelte. Das FG gab der Klage im zweiten Rechtsgang teilweise statt. Es reduzierte die festgesetzte Umsatzsteuer. Die Umsatzsteuer für die unentgeltlichen Wertabgaben bemesse sich gem. § 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 UStG nach den Selbstkosten, die nach der sog. Marktwertmethode zu berechnen seien. Es sei auf die Marktwerte für Strom und Wärme am konkreten Ort der Klägerin abzustellen.

Entscheidung

Mit der Revision rügen die Klägerin und das Finanzamt die Verletzung materiellen Rechts. Der BFH hat das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

  1. Handelt es sich um die „Entnahme eines Gegenstands durch einen Steuerpflichtigen aus seinem Unternehmen … als unentgeltliche Zuwendung“ i. S. v. Art. 16 MwStSystRL, wenn ein Steuerpflichtiger Wärme aus seinem Unternehmen unentgeltlich an einen anderen Steuerpflichtigen für dessen wirtschaftliche Tätigkeit abgibt (hier: Zuwendung von Wärme aus dem Blockheizkraftwerk eines Stromlieferanten an ein landwirtschaftliches Unternehmen zum Beheizen von Spargelfeldern)? Kommt es hierfür darauf an, ob der steuerpflichtige Empfänger die Wärme für Zwecke verwendet, die ihn zum Vorsteuerabzug berechtigen?
  2. Schränkt der Tatbestand der Entnahme (Art. 16 MwStSystRL) den Selbstkostenpreis i. S. d. Art. 74 MwStSystRL in der Weise ein, dass bei seiner Berechnung nur vorsteuerbelastete Kosten einzubeziehen sind?
  3. Gehören zum Selbstkostenpreis nur die unmittelbaren Herstellungs- oder Erzeugungskosten oder auch nur mittelbar zurechenbare Kosten wie z. B. Finanzierungsaufwendungen?

Die Beantwortung dieser Fragen und die Folgerechtsprechung des BFH bleiben abzuwarten.

Private Immobilienbesitzer

1. WEG-Recht: Für bauliche Veränderungen besteht Beschlusszwang

Wohnungseigentümer, die eine bauliche Veränderung am Gemeinschaftseigentum vornehmen wollen, müssen einen WEG-Beschluss herbeiführen. Das gilt auch bei bestehendem Gestattungsanspruch.

Hintergrund

Eine Wohnungseigentümergemeinschaft besteht aus den Eigentümern zweier Doppelhaushälften, die auf einem im Gemeinschaftseigentum befindlichen Grundstück stehen. Nach der aus dem Jahr 1971 stammenden Teilungserklärung stand jedem Wohnungseigentümer ein Sondernutzungsrecht an dem sich an die jeweilige Haushälfte anschließenden Gartenteil zu. Insoweit war für Reparaturen und Instandhaltungen der jeweils Berechtigte alleinverantwortlich und kostentragungspflichtig. Im Übrigen sollte sich das Verhältnis der Wohnungseigentümer untereinander nach den gesetzlichen Regelungen richten.

Die beklagten Eigentümer einer der Doppelhaushälften begannen ohne Zustimmung des Nachbarn mit dem Bau eines Swimmingpools in dem ihnen zugewiesenen Gartenteil. Hiergegen erhoben die Eigentümer der anderen Doppelhaushälfte Unterlassungsklage.

Entscheidung

Die Klage hatte Erfolg. Der BGH stützte seine Entscheidung maßgeblich auf die am 1.12.2020 in Kraft getretene Neufassung des § 20 WEG. Danach können einem Eigentümer bauliche Veränderungen durch Beschluss gestattet werden.

Auf eine solche Gestaltung kann gem. § 20 Abs. 3 WEG ein Anspruch bestehen, wenn das Einverständnis aller Wohnungseigentümer vorliegt, deren Rechte durch die bauliche Veränderung beeinträchtigt werden, oder wenn durch die bauliche Maßnahme keine Beeinträchtigung der anderen Wohnungseigentümer zu besorgen ist.

Eine bauliche Veränderung des Gemeinschaftseigentums bedarf also grundsätzlich einer Beschlussfassung der Wohnungseigentümer. Dieses Erfordernis der Beschlussfassung hätten die Parteien im konkreten Fall auch nicht gem. § 10 Abs. 1 Satz 2 WEG suspendiert. Lediglich die Vereinbarung eines Sondernutzungsrechts betreffend der jeweiligen Gartenhälfte berechtige nicht zu grundlegenden Umgestaltungen der jeweiligen Sondernutzungsfläche. Der Bau eines Swimmingpools gehe über die übliche Nutzung einer Sondernutzungsfläche deutlich hinaus und sei auch nicht durch die vereinbarte Reparatur- und Instandsetzungsklausel gedeckt.

Sonstige Steuern

1. Grunderwerbsteuer: Zurechnung von Grundstücken nach Abschluss einer Vereinbarungstreuhand

Ein inländisches Grundstück ist einer Gesellschaft im Zeitpunkt der Entstehung der Steuerschuld für den der Grunderwerbsteuer unterliegenden Rechtsvorgang zuzurechnen, wenn sie zuvor in Bezug auf dieses Grundstück einen unter § 1 Abs. 1 GrEStG (und die Verwertungsbefugnis einschließenden) oder einen unter § 1 Abs. 2 GrEStG fallenden Erwerbsvorgang verwirklicht hat.

Hintergrund

Die Klägerin, eine GmbH, erwarb durch Kaufvereinbarung vom 19.4.2004 von der MG 100 % der Anteile an der DN. Die DN war teils mittelbar, teils unmittelbar zu insgesamt 100 % an drei GmbHs beteiligt, die Eigentümer inländischen Grundbesitzes in verschiedenen Bundesländern und Finanzamtsbezirken waren.

Mit Treuhandverträgen vom 20.12.2002 hatte die MG mit den GmbHs jeweils eine Vereinbarungstreuhand begründet. Danach hielten die GmbHs als Treuhänder mit Wirkung ab dem 31.12.2002 einen erheblichen Teil der zu ihrem bisherigen Geschäftsbetrieb gehörenden Vermögensgegenstände einschließlich Grundbesitz, jedoch ohne Beteiligungen, für Rechnung und Gefahr der MG als Treugeber.

Parallel zur Kaufvereinbarung vom 19.4.2004 übertrug MG sämtliche Rechte und Pflichten aus den Treuhandverträgen auf Tochtergesellschaften der Klägerin. Auch für diese Übertragungen wurde – ebenso wie bereits zuvor für die Treuhandvereinbarungen vom 20.12.2002 – Grunderwerbsteuer nach § 1 Abs. 2 GrEStG festgesetzt.

Mit Bescheid vom 4.12.2009 stellte das seinerzeit zuständige Finanzamt die Besteuerungsgrundlagen für den unmittelbaren Erwerb der Anteile an der DN aufgrund Kaufvereinbarung vom 19.4.2004 gesondert fest. Neben den im Eigentum der 3 GmbHs befindlichen Grundstücken erfasste der Bescheid ein im Eigentum einer Tochtergesellschaft einer der GmbHs stehendes Gebäude in Z. Der Feststellungsbescheid wurde am 17.12.2009 aus im Revisionsverfahren nicht streitigen Gründen geändert. Der gegen den Bescheid vom 4.12.2009 in Gestalt des Änderungsbescheids vom 17.12.2009 eingelegte Einspruch wurde durch Einspruchsentscheidung vom 7.10.2011 zurückgewiesen.

Im Klageverfahren vor dem FG beantragte die Klägerin sinngemäß, die Bescheide dahingehend zu ändern, dass die Feststellungen nur in Bezug auf das Gebäude in Z verbleiben und im Übrigen aufgehoben werden. Das FG gab der Klage in der so formulierten Weise statt.

Entscheidung

Der BFH hält die Revision des Finanzamts für begründet. Er hat das FG-Urteil aufgehoben und führt zur Begründung u. a. aus:

Die Vorentscheidung war bereits aus verfahrensrechtlichen Gründen aufzuheben. Das FG durfte den angefochtenen Feststellungsbescheid nicht nach § 100 Abs. 2 FGO ändern. Hat das Finanzamt in einem Feststellungsbescheid nach § 17 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GrEStG Feststellungen zu mehreren Grundstücken getroffen, von denen eines oder mehrere nicht in die Feststellungen hätten einbezogen werden dürfen, ist der Bescheid insgesamt rechtswidrig und deshalb aufzuheben. Eine bloße Änderung oder nur teilweise Aufhebung des Feststellungsbescheids ist nicht möglich.

Im Ergebnis zu Recht ist das FG davon ausgegangen, dass die Grundstücke am 19.4.2004 der DN nicht mehr i. S. d. § 1 Abs. 3 GrEStG „gehörten“. Entgegen der Auffassung des FG konnte der Fehler des Finanzamts in dem angegriffenen Bescheid aber nicht durch dessen Änderung behoben werden. Ein inländisches Grundstück ist einer Gesellschaft im Zeitpunkt der Entstehung der Steuerschuld für den nach § 1 Abs. 3 GrEStG der Grunderwerbsteuer unterliegenden Rechtsvorgang zuzurechnen, wenn sie zuvor in Bezug auf dieses Grundstück einen unter § 1 Abs. 1 GrEStG (und die Verwertungsbefugnis einschließenden) oder einen unter § 1 Abs. 2 GrEStG fallenden Erwerbsvorgang verwirklicht hat. Für Zwecke des § 1 Abs. 3 GrEStG ist es ihr nicht mehr zuzurechnen, wenn ein Dritter in Bezug auf dieses Grundstück einen unter § 1 Abs. 1 GrEStG (und die Verwertungsbefugnis einschließenden) oder einen unter § 1 Abs. 2 GrEStG fallenden Erwerbsvorgang verwirklicht hat.

Steuerrecht Arbeitnehmer

1. Doppelter Haushalt im Ausland: Finanzielle Beteiligung muss nachgewiesen werden

Die für eine doppelte Haushaltsführung erforderliche finanzielle Beteiligung an den Kosten der Lebensführung muss bei Fällen mit Auslandsbezug nicht unterstellt werden, nur weil der Arbeitnehmer verheiratet ist.

Hintergrund

Die Klägerin, die als Arbeitnehmerin in Deutschland tätig ist, hat einen gemeinsamen Haushalt mit ihrem Ehemann in Russland geführt. Das Finanzamt hat die geltend gemachten Kosten einer doppelten Haushaltsführung nicht als Werbungskosten anerkannt, da die finanzielle Beteiligung an den Kosten der Lebensführung im gemeinsamen Haushalt nicht nachgewiesen sei.

Mit ihrer Klage trägt die Klägerin vor, dass aufgrund der geringen Lebenshaltungskosten in Russland die 10 %-Grenze hinsichtlich der Beteiligung an den Lebenshaltungskosten überschritten sei, außerdem könne die finanzielle Beteiligung bei Ehegatten ohnehin unterstellt werden. Das Finanzamt hat jedoch weiter die Auffassung vertreten, dass die Klägerin nicht nachgewiesen habe, dass sie sich zu mehr als 10 % an den Kosten der Lebensführung in Russland beteiligt habe.

Entscheidung

Das FG hat die Klage als unbegründet zurückgewiesen. Die Klägerin habe im Streitjahr keinen eigenen Hausstand in Russland gehabt, da ihre finanzielle Beteiligung an den Kosten der Lebensführung erkennbar unzureichend gewesen sei, sodass kein eigener Hausstand i. S. d. § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 EStG angenommen werden könne. Die finanzielle Beteiligung müsse nicht allein deshalb unterstellt werden, weil die Klägerin verheiratet sei. Die Finanzverwaltung gehe zwar bei Ehegatten oder Lebenspartnern davon aus, dass eine finanzielle Beteiligung an den Kosten der Lebensführung ohne entsprechenden Nachweis unterstellt werden könne. Die Regelung führe jedoch nicht dazu, dass eine Selbstbindung der Verwaltung auch für anders gelagerte Fälle eintrete. Es könne aus der Regelung nicht gefolgert werden, dass auch bei Auslandssachverhalten – wie im vorliegenden Fall – eine finanzielle Beteiligung unterstellt werden müsste. Es sei in diesen Fällen vielmehr zwingend eine finanzielle Beteiligung an den Kosten der Lebensführung von mehr als 10 % von der Klägerin nachzuweisen.

2. Luxuriöses Ambiente bei Abschiedsfeier: Kein Abzug der Kosten

Die Kosten für eine Abschiedsfeier sind nicht abziehbare Repräsentationsaufwendungen, wenn die Veranstaltung aufgrund ihres Austragungsorts und Rahmens derart exklusiv ist, dass sie sich von einer gewöhnlichen Feierlichkeit abhebt.

Hintergrund

Der klagende Gesellschafter-Geschäftsführer hatte aufgrund seines Eintritts in den Ruhestand insgesamt 162 Mitarbeiter, Geschäftspartner und Privatpersonen zu einer exklusiven Abschiedsfeier auf einen historischen Gutshof mit parkähnlichem Außengelände eingeladen. Die Veranstaltung fand im Jahr 2015 im Stil einer Zirkusveranstaltung mit mehreren Artisten, einer Feuer-Show und regional bekannten Musikern bis weit in die Nacht hinein statt. Für die Feier war das umliegende Parkgelände eigens mit 120 Heliumballons und 60 Flammschalen dekoriert worden. Zum außergewöhnlichen Rahmen trugen eine Zigarren-Lounge, ein Barista-Bike und ein Trommelworkshop mit 170 Trommeln bei. Die Kosten der Veranstaltung von 94.980 EUR machte der Gesellschafter-Geschäftsführer als Werbungskosten in seiner Einkommensteuererklärung geltend.

Das Finanzamt erkannte die Kosten im Einspruchsverfahren nicht an und verwies darauf, dass besonderer Repräsentationsaufwand (Aufwendungen für Jagd, Fischerei, Jachten und ähnliche Zwecke) vorliegt. Die Grenzen des Üblichen seien aufgrund des luxuriösen Rahmens der Feier bei Weitem überschritten worden. Der Kläger hielt dem entgegen, dass er das Unternehmen schließlich mit aufgebaut und maßgeblich zu dessen wirtschaftlichen Erfolg beigetragen habe, sodass die Kosten angemessen und abziehbar seien.

Entscheidung

Das FG urteilte, dass das Finanzamt den Kostenabzug zu Recht versagt hatte. Aufwendungen für Jagd oder Fischerei, für Segeljachten oder Motorjachten sowie für ähnliche Zwecke und für die hiermit zusammenhängenden Bewirtungen dürfen den Gewinn nicht mindern. Die Kosten für die Abschiedsfeier zählen zu diesen besonderen Repräsentationsaufwendungen, da sie einem „ähnlichen Zweck“ dienten. Unübliche Aufwendungen liegen dem Grunde nach vor, wenn hinsichtlich des Orts der Veranstaltung oder der Art und Weise der Unterhaltung besondere Umstände erkennbar sind, die eine Veranstaltung von einer gewöhnlichen Feierlichkeit abheben. Besonderheiten bei der Ortswahl bzw. dem Rahmen der Veranstaltung oder besonders qualitativ hochwertige Unterhaltungsprogramme sind bei der Betrachtung einzubeziehen.

Im vorliegenden Fall hatte der Gutshof mit seinen parkähnlichen Flächen (u. a. mit See und Insel-Pavillon) durchaus Assoziationen zu dem luxuriösen Ambiente auf einer Segel- oder Motorjacht zugelassen. Die Kosten für die reine Anmietung der Lokalität hatten sich auf 20.000 EUR belaufen und waren somit vergleichbar mit den Kosten für die Charterung einer Jacht. Die Unangemessenheit ergab sich für das Finanzgericht vor allem aus dem umfangreichen Unterhaltungsprogramm. Die Pro-Kopf-Kosten hatten zudem die finanziellen Aufwendungen für vergleichbare betriebliche Veranstaltungen erheblich überschritten.

Steuerrecht Privatvermögen

1. Einspruchsentscheidung kann sachliche Unzuständigkeit nicht heilen

Ein Verwaltungsakt, der von einer sachlich unzuständigen Behörde erlassen wurde und daher rechtswidrig ist, wird nicht dadurch rechtmäßig, dass die sachlich und örtlich zuständige Behörde über den Einspruch gegen den rechtswidrigen Ausgangsbescheid entscheidet.

Hintergrund

Die A erhielt aufgrund eines Abzweigungsbescheids aus 2014 laufend Kindergeld für sich selbst. Im Oktober 2014 beendete sie ihre Ausbildung vorzeitig, wovon die zuständige Familienkasse NRW Nord erst im Jahr 2016 Kenntnis erlangte. Die Familienkasse NRW Nord hob deshalb gegenüber dem Vater der A die Kindergeldfestsetzung auf und forderte mit Bescheid aus 2016 von der A als Abzweigungsempfängerin das für den Zeitraum November 2014 bis Juli 2016 gezahlte Kindergeld zurück. Beide Bescheide wurden bestandskräftig. Die Durchführung des Rückforderungsverfahrens übernahm die Agentur für Arbeit Recklinghausen, Inkasso-Service Familienkasse.

Im Jahr 2017 beantragte die A den Erlass dieser Rückforderung. In 2018 erließ der Inkasso-Service Familienkasse (Ausgangsbehörde) eine Teilforderung und lehnte den Erlassantrag im Übrigen unter Hinweis auf die Verletzung der Mitwirkungspflicht der A ab. Den hiergegen eingelegten Einspruch wies die Familienkasse NRW Nord (Einspruchsbehörde) durch Einspruchsentscheidung als unbegründet zurück.

Das FG gab er Klage insoweit statt, als die A die Aufhebung des Ablehnungsbescheids und der Einspruchsentscheidung begehrte. Die Ablehnung des Erlasses sei durch eine sachlich unzuständige Behörde (Inkasso Service Familienkasse) ausgesprochen worden. Dieser Mangel sei durch die nachfolgende Einspruchsentscheidung der sachlich zuständigen Behörde (Familienkasse NRW Nord) nicht geheilt worden.

Hiergegen legte die Agentur für Arbeit Recklinghausen, Inkasso-Service Familienkasse Revision ein.

Entscheidung

Der BFH wies die Revision als unbegründet zurück. Der Mangel der sachlichen Zuständigkeit der entscheidenden Behörde wird durch die nachfolgende Einspruchsentscheidung der zuständigen Behörde nicht geheilt.

Die Klage richtet sich gegen die Agentur für Arbeit, Inkasso-Service Familienkasse. Nach § 63 Abs. 1 FGO ist die Klage gegen die Behörde zu richten, die den ursprünglichen Verwaltungsakt erlassen hat oder die den beantragten Verwaltungsakt oder die andere Leistung unterlassen oder abgelehnt hat. Die Bezugnahme auf den „ursprünglichen“ Verwaltungsakt bedeutet, dass nur die Ausgangsbehörde und nicht etwa die Rechtsmittelbehörde beteiligt sein soll. Daher ist im Streitfall die Agentur für Arbeit, Inkasso-Service Familienkasse und nicht die Familienkasse NRW Nord als Rechtsmittelbehörde (Einspruchsbehörde) beteiligt.

Diese Vorschrift betrifft den Wechsel der örtlichen Zuständigkeit (z. B. durch Wohnsitzwechsel) vor Erlass der Einspruchsentscheidung. Diese Konstellation liegt im Streitfall nicht vor. Bei der Agentur für Arbeit Recklinghausen, Inkasso-Service Familienkasse trat vor Erlass des Ausgangsbescheids kein Wechsel in der örtlichen Zuständigkeit ein. Vielmehr hat diese als von Beginn an sachlich unzuständige Behörde entschieden. Die Agentur für Arbeit, Inkasso-Service Familienkasse war nicht die ursprünglich zuständige Behörde, es trat keine Veränderung der örtlichen Zuständigkeit ein und es kam zu keiner Zuständigkeitsveränderung zwischen dem Erlass des Ausgangsbescheids und dem Erlass der Einspruchsentscheidung.

Der Ablehnungsbescheid der Agentur für Arbeit, Inkasso-Service Familienkasse wurde vom FG zutreffend als rechtswidrig aufgehoben, weil er von einer sachlich unzuständigen Behörde erlassen wurde. Der BFH hat bereits mehrfach entscheiden, dass die Konzentration der Aufgaben des Erhebungsverfahrens (insbesondere der Erlass und die Stundung von Kindergeldrückforderungen) bei der Agentur für Arbeit, Inkasso-Service Familienkasse und der Familienkasse NRW Nord rechtswidrig ist.

Der Mangel der sachlichen Zuständigkeit der Agentur für Arbeit, Inkasso-Service Familienkasse wurde nicht durch die nachfolgende Einspruchsentscheidung der (zuständigen) Familienkasse NRW Nord geheilt. Zum einen liegt kein Fall der abschließend aufgezählten Heilungsgründe nach § 126 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 AO vor. Zum anderen wurde der Mangel auch nicht durch die Gesamtüberprüfung des Falls im Einspruchsverfahren nach § 367 Abs. 2 AO geheilt. Nach § 44 Abs. 2 FGO ist Gegenstand der Anfechtungsklage nach einem Vorverfahren der ursprüngliche Verwaltungsakt in der Gestalt, die er durch die Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf gefunden hat. Damit geht der Gesetzgeber nicht davon aus, dass die Einspruchsentscheidung an die Stelle des Ausgangsbescheids tritt. Vielmehr bleibt der Ausgangsbescheid Verfahrensgegenstand. Stellt die Einspruchsbehörde im Rahmen der umfassenden Prüfung fest, dass die Ausgangsbehörde sachlich unzuständig war, hat sie deren Ausgangsbescheid aufzuheben und durch einen neuen Ausgangsbescheid erstmals selbst zu entscheiden. Wird der Erlassantrag wiederum abgelehnt, steht dem Antragsteller dagegen erneut der Einspruch zu. Dem Betroffenen (bzw. hier der A als Abzweigungsempfängerin) bleibt damit der volle außergerichtliche Rechtsschutz mit einer Prüfung durch 2 Stellen der Verwaltung erhalten.

Hiervon ausgehend hat das FG zutreffend den Ablehnungsbescheid und die Einspruchsentscheidung als rechtswidrig aufgehoben.

2. Trennungsunterhalt: Nutzungsüberlassung von Wohnraum stellt Naturalunterhalt dar

Wird das frühere Familienheim dem ehemaligen Partner unentgeltlich überlassen, liegt ein sog. Naturalunterhalt vor, welcher mit dem ortsüblichen Mietpreis zu bewerten ist.

Hintergrund

Bei einem inzwischen geschiedenen Paar bewohnte die frühere Ehefrau zunächst noch mit den gemeinsamen Kindern die Familienwohnung, die den ehemaligen Partnern jeweils zur Hälfte gehörte. Beim unterhaltspflichtigen Ehemann hatte das zuständige Finanzamt zunächst Geld- und Sachleistungen bei der Einkommensteuer berücksichtigt, wobei für die unentgeltliche Überlassung der Wohnung ein Wert von monatlich 400 EUR angesetzt wurde.

Später beantragte der Mann die Änderung des bereits bestandskräftig gewordenen Einkommensteuerbescheids. Dies begründete er damit, dass nicht der in der Trennungsvereinbarung festgelegte Betrag, sondern die ortsübliche Miete i. H. v. 818 EUR zu berücksichtigen sei, da die früheren Eheleute sich auf ein Realsplitting geeinigt hatten. Dabei werden die Steuern auf den Unterhaltsberechtigten verschoben, um von dessen niedrigeren Steuersatz zu profitieren. Das zuständige Finanzamt lehnte den Antrag jedoch ab, da es die Trennungsvereinbarung als mietvertragsähnliche Regelung wertete.

Entscheidung

Der BFH erkannte keine mietvertragsähnliche Vereinbarung, sondern stufte die unentgeltliche Nutzung als Naturalunterhalt ein. Dies leiteten die Richter auch daraus ab, dass die Trennungsvereinbarung von einem Wohnvorteil für die Frau spricht. Würde es sich um eine der Miete vergleichbare Situation handeln, müsste dies dagegen deutlich benannt sein. Dies wäre der Fall, wenn sich Hinweise auf ein Entgelt oder die Bezeichnung als Wohnraumvermietung finden ließen.

Zu bewerten ist der Naturalunterhalt zu einem Mittelpreis, der dem ortüblichen Wert entspricht. Maßgeblich ist bei der Berechnung die Höhe der Miete, die der Unterhaltsberechtigte vor Ort für eine dem gewohnten Lebensstandard angemessene kleinere Wohnung zahlen müsste. In die Wertermittlung fließt zudem ein, ob ein Wohnvorteil für die beiden gemeinsamen Kinder zu berücksichtigen ist und wenn ja, wie hoch dieser ausfällt. Nicht erforderlich ist dagegen in der Trennungsphase eine Verwertung des bisherigen Familienheims. Hintergrund dabei ist, dass die Eheleute in dieser Zeit wieder zueinanderfinden könnten.

Wird eine Wohnung unentgeltlich zur Nutzung überlassen, zählt dies zu den geldwerten Sachleistungen und mindert den Anspruch auf Barleistungen des Unterhaltsberechtigten.

Solange eine Wohnung dem ehemaligen Partner zur unentgeltlichen Nutzung überlassen wird, fallen beim Unterhaltszahler keine Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung an. Dies ergibt sich bereits daraus, dass kein Entgelt zwischen den Beteiligten fließt. Wird das ehemalige Familienheim jedoch auf Basis eines Mietvertrags gegen Zahlung eines monatlichen Betrags genutzt, sind diese Einnahmen entsprechend zu versteuern. Dies gilt auch dann, wenn sie mit dem zu leistenden Barunterhalt verrechnet werden.

Steuerrecht Unternehmer

1. Bei der Anschaffung eines Firmenwagens kommt ein Vorsteuerabzug infrage

Wird ein Pkw nach der Anschaffung teils für steuerpflichtige und teils für steuerfreie Umsätze verwendet, erfolgt die Vorsteueraufteilung für den Pkw nicht nach dem Umsatzschlüssel, sondern nach der Fahrleistung des Pkw.

Hintergrund

Die klagende Freiberuflerin erzielt umsatzsteuerpflichtige und umsatzsteuerfreie Umsätze aus Vorträgen und Seminaren. Am 11.11.2014 erwarb die Klägerin einen neuen Pkw. Den neuen Pkw und den zuvor verkauften Pkw nutzte sie für Fahrten zur Ausführung umsatzsteuerpflichtiger und umsatzsteuerfreier Umsätze.

Den von der Klägerin für das Jahr 2014 zu 100 % geltend gemachten Vorsteuerabzug aus dem Kauf des neuen Pkw i. H. v. 10.778 EUR kürzte das Finanzamt um 30,49 % (somit Vorsteuerkürzung 3.286 EUR). Nach Auffassung der Klägerin war der zu 100 % zu gewährende Vorsteuerabzug für 2014 erst ab dem Folgejahr 2015 über § 15a UStG zu berichtigen.

Entscheidung

Nach Auffassung des FG erhält die Klägerin aus der Pkw-Anschaffung 2014 zunächst Vorsteuer von 9.162 EUR (85 % × 10.778 EUR). Jedoch erfolgt noch im Jahr 2014 eine Vorsteuerberichtigung gem. § 15a UStG von 55 EUR zu Ungunsten der Klägerin. Der saldierte Vorsteuerabzug für 2014 beträgt somit 9.107 EUR.

Da die Klägerin umsatzsteuerpflichtige und umsatzsteuerfreie Umsätze ausführt, ist eine Vorsteueraufteilung durch sachgerechte Schätzung vorzunehmen. Eine Vorsteueraufteilung nach dem Verhältnis der umsatzsteuerpflichtigen und den nicht zum Vorsteuerabzug berechtigten steuerfreien Vortragsumsätze ist nur zulässig, wenn keine andere wirtschaftliche Zurechnung möglich ist. Das Finanzamt ist daher zutreffend von einer Schätzung nach der Fahrleistung des Pkw ausgegangen.

Dies führt nach Auffassung des FG hier zu einer präziseren wirtschaftlichen Zurechnung als der Umsatzschlüssel. Die „Verwendung“ eines Pkw lässt sich präziser durch dessen Laufleistung abbilden, die den Verschleiß und die Abnutzung des Pkw widerspiegeln. Die Umsätze können hingegen von anderen Faktoren abhängig sein und deren Höhe ist i. d. R. unabhängig von der zurückgelegten Entfernung. Somit kann eine präzisere wirtschaftliche Zurechnung im Streitfall nicht über den Umsatzschlüssel erreicht werden.

Jedoch war die vom Finanzamt herangezogene Fahrleistung vom 11.11.2014 bis zum 31.12.2014 nicht sachgerecht, da nicht in jedem Monat des gesamten Kalenderjahres eine in etwa identische Verwendung des Pkw stattfindet. Auch weicht der Aufteilungsmaßstab des Finanzamts mit 30,49 % deutlich von den sonstigen Jahren ab. Die dortige Nutzung des Pkw für Fahrten zu Vorträgen und Seminaren betrug lediglich zwischen 12,90 % und 25,78 %.

Ebenso berücksichtigte das Finanzamt nicht, dass die Klägerin bereits vor dem 11.11.2014 aufzuteilende Fahrten mit einem „funktionsgleichen“ unternehmerischen Pkw vorgenommen hat. Die unternehmerische Tätigkeit der Klägerin war über das gesamte Streitjahr gesehen gleichbleibend. Demgegenüber tauschte sie lediglich ihren Pkw aus, nutzte diesen jedoch weiterhin wie bereits zuvor.

Das FG hält die Vorsteueraufteilung nach der Gesamtfahrleistung im Streitjahr 2014 für sachgerecht. Dies ergibt einen Anteil von ca. 15 % Vorsteuerausschluss für Fahrten zu Vorträgen und Seminaren und damit eine abzugsfähige Vorsteuer von 9.162 EUR.

Der Vorsteuerabzug aus der Anschaffung des Pkw ist jedoch im Streitjahr für 2 Monate gem. § 15a UStG zu korrigieren, da der neu angeschaffte Pkw im Streitjahr tatsächlich nur zu 69,51 % zu steuerpflichtigen Umsätzen verwendet wurde. Kommt es wie vorliegend bereits im Kalenderjahr des ursprünglichen Vorsteuerabzugs zu einer von der ursprünglichen Verwendungsabsicht abweichenden tatsächlichen Verwendung, ist nach Auffassung des FG aufgrund der Besonderheiten des Streitfalls (Austausch durch einen funktionsgleichen Pkw) ein Nebeneinander der Anwendung von § 15 Abs. 4 UStG und § 15a Abs. 1 Satz 1 UStG zulässig.

Der ursprüngliche Vorsteuerabzug von 9.162 EUR bzw. 152,70 EUR pro Monat des Berichtigungszeitraums (9.162 EUR / 60 Monate) wäre daher nach der tatsächlichen Verwendung vom 11.11.2014 bis 31.12.2014 nur i. H. v. 124,87 EUR (69,51 % × 10.778 EUR) / 60 Monate) pro Monat zulässig. Die Vorsteuerberichtigung beträgt daher 55,65 EUR (Differenz zwischen 152,70 EUR × 2 Monate und 124,87 EUR × 2 Monate). Der Vorsteuerabzug ist daher im Streitjahr um 55,65 EUR zu ermäßigen.

2. Darf ein Gemeindeprüfer an einer Außenprüfung teilnehmen?

Die Anordnung der Teilnahme des Gemeindeprüfers an einer die Gewerbesteuer betreffenden Außenprüfung des Finanzamts ist nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Dies gilt auch, wenn Vertragsbeziehungen zwischen dem Steuerpflichtigen und der Gemeinde bestehen.

Hintergrund

Die X-GmbH betreibt den Handel mit Waren und damit im Zusammenhang stehende Dienstleistungen und Tätigkeiten.

Im Jahr 2017 ordnete das Finanzamt eine steuerliche Außenprüfung bei der X-GmbH für die Jahre 2013 bis 2015 u. a. für Gewerbesteuer an und teilte in Ergänzung der Prüfungsanordnung mit, dass die Gemeinde von ihrem Recht auf Teilnahme an der Außenprüfung durch einen Gemeindebediensteten Gebrauch mache.

X wandte dagegen ein, da sie, die X, Leistungen an die Gemeinde und deren Tochtergesellschaften erbringe, bestehe wegen deren Einsicht in ihre Geschäftsunterlagen die Besorgnis der Verletzung des Steuergeheimnisses. Den entsprechenden Einspruch der X wies das Finanzamt zurück. Im Laufe des nachfolgenden Klageverfahrens wurde die Außenprüfung ohne Teilnahme des Gemeindebediensteten abgeschlossen. Die X stellte darauf ihr Klagebegehren auf eine Fortsetzungsfeststellungsklage um, da das Finanzamt angekündigt habe, auch bei künftigen Außenprüfungen nicht auf die Teilnahme des Gemeindeprüfers zu verzichten.

Das FG gab der Klage statt. Der Prüfer des Finanzamts und damit auch der Gemeindebedienstete könnten im Rahmen der Außenprüfung Einblick in Kalkulationsgrundlagen der X erhalten. Diese Erkenntnisse könnten für die wirtschaftliche Tätigkeit oder für andere außersteuerliche Interessen der Gemeinde von Bedeutung sein. Aus Sicht der X seien diese Daten besonders sensibel und schützenswert.

Entscheidung

Der BFH hob das stattgebende FG-Urteil auf und wies die Klage ab. Das Teilnahmerecht der Gemeinde nach § 21 Abs. 2, 3 FVG ist nicht bereits aufgrund des Bestehens von Vertragsbeziehungen zwischen dem Steuerpflichtigen und der Gemeinde ausgeschlossen.

Aus § 21 Abs. 3 FVG ergibt sich zwar eine das Steuergeheimnis berührende Pflicht des Finanzamts gegenüber der Gemeinde, die Informationen, soweit die Realsteuer betroffen ist, mitzuteilen. Diese Mitteilungspflicht des Finanzamts besteht aber nicht schrankenlos. Vielmehr muss der Außenprüfer während der Außenprüfung im Einzelnen prüfen, ob die Offenbarung bestimmter Informationen der Durchführung des Verfahrens „dient“ und verhältnismäßig ist.

Zur Wahrung des Steuergeheimnisses muss der Steuerpflichtige während der Prüfung die Unterlagen im Einzelnen bezeichnen, die er für schützenswert hält und von der Offenbarung gegenüber dem Gemeindebediensteten ausgenommen werden sollen. Zudem muss er dem Außenprüfer die Vertragsbeziehungen zur Gemeinde erläutern, damit das Finanzamt beurteilen kann, ob und ggf. in welchem Umfang die Unterlagen gegenüber dem Gemeindebediensteten offenzulegen oder schutzwürdig sind. Den Steuerpflichtigen trifft auch insoweit eine Informations- und Mitwirkungspflicht.

Entscheidet sich das Finanzamt trotz des Geheimhaltungsbegehrens des Steuerpflichtigen für eine Offenlegung, muss es dies in Form eines im Einzelnen begründeten Verwaltungsakts tun. Hiergegen kann sich dann der Steuerpflichtige im Wege des (auch einstweiligen) Rechtsschutzes wehren.

Die Teilnahmeregelung (als Ergänzung zur Prüfungsanordnung) muss keine Maßnahmen bezeichnen, die abstrakt Konflikte über die Offenlegung vermeiden. Vielmehr sind bei der Offenlegung von Unterlagen im Rahmen der Außenprüfung die Besonderheiten des konkreten Sachverhalts abzuwägen. Hierzu muss im jeweiligen Einzelfall während der Prüfung die Schutzwürdigkeit der Unterlagen oder Daten beurteilt werden.

Hiervon ausgehend war die Revision des Finanzamts begründet. Allein das Bestehen von Vertragsbeziehungen zwischen der X-GmbH und der Gemeinde und die daraus abgeleitete abstrakten Gefahr einer Verletzung des Steuergeheimnisses begründen noch nicht den Ausschluss des Teilnahmerechts der Gemeinde. Andernfalls wäre das Teilnahmerecht der Gemeinde entweder faktisch ausgehöhlt oder aber die Gemeinde müsste zur Wahrung ihres Teilnahmerechts vorsorglich Vertragsbeziehungen zu ihren Standortunternehmen vermeiden, was nicht im Interesse der betroffenen Unternehmen liegen dürfte.

3. Nach Insolvenzeröffnung: Wer ist richtiger Adressat für eine Prüfungsanordnung?

Richtiger Adressat einer Prüfungsanordnung nach Insolvenzeröffnung ist nicht die insolvente Personengesellschaft, sondern der Insolvenzverwalter.

Hintergrund

Die Klägerin war eine KG, über deren Vermögen im November 2011 das Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Eine Rechtsanwältin wurde zur Insolvenzverwalterin bestellt.

Im Jahr 2019 erließ das Finanzamt Betriebsprüfungsanordnungen für die Jahre 2012 und 2013. Diese waren an die Rechtsanwältin (nicht in ihrer Stellung als Insolvenzverwalterin) adressiert und führten aus, dass bei der KG eine Außenprüfung durchgeführt werden soll. Weiter wurde ausgeführt, dass die Prüfungsanordnungen an die Rechtsanwältin als Empfangsbevollmächtigte für und gegen alle Feststellungsbeteiligten ergehen.

Gegen die Prüfungsanordnungen legte die Klägerin Einspruch ein. Sie vertrat die Ansicht, diese seien falsch, da der Adressat der Anordnung unzutreffend sei. Das Finanzamt wies den Einspruch zurück, sodass Klage erhoben wurde.

Entscheidung

Das FG gab der Klage als Feststellungsklage statt. Es stellt fest, dass die Prüfungsanordnungen nichtig gewesen sind.

Nach der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens bei einer Personengesellschaft ist eine Prüfungsanordnung nach der Rechtsprechung des BFH an den Insolvenzverwalter zu richten. Das gilt für Zeiträume vor und nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Nach der Eröffnung des Verfahrens ist der Insolvenzverwalter Bekanntgabe- und Inhaltsadressat einer solchen Anordnung.

Da hier die Adressierung an die Personengesellschaft erfolgt ist und nicht an die Insolvenzverwalterin, leiden die Prüfungsanordnungen unter einem schweren Rechtsfehler, der zur Nichtigkeit führt. Eine Auslegung ist nicht möglich, da die Finanzverwaltung die Prüfungsanordnungen nach ihren ausdrücklichen Ausführungen an die Personengesellschaft richten wollte.

4. Rückgängigmachung von Investitionsabzugsbeträgen: Wann beginnt der Zinslauf?

Fehler bei der Berechnung des Zinslaufs können nicht über die Änderungsvorschrift des § 233a Abs. 5 Satz 1 AO, sondern nur auf der Grundlage der nach § 239 Abs. 1 Satz 1 AO auf Zinsfestsetzungen anwendbaren Regelungen in §§ 129, 172 ff. AO korrigiert werden.

Hintergrund

Am 6.5.2013 erließ das Finanzamt geänderte Einkommensteuer-Bescheide für 2007/2008 wegen (u. a.) gewinnerhöhender Rückgängigmachung von Investitionsabzugsbeträgen nach § 7g Abs. 3 EStG. Die Bescheide enthielten auch die Festsetzung von Nachzahlungszinsen mit Zinslauf beginnend zum 1.4.2009/2010 nach § 233a Abs. 2 AO (d. h. 15 Monate nach Ablauf der Steuerentstehungsjahre 2007, 2008).

Am 10.6.2013 erhoben die Eheleute Einspruch gegen die „Bescheide über Einkommensteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer“ für die Streitjahre.

Erst am 30.12.2013 bzw. am 7.11.2014 (d. h. nach Ablauf der Einspruchsfrist) wandten sie sich auch gegen die Zinsfestsetzung und machten geltend, der Zinslauf beginne nach § 233a Abs. 2a AO erst 15 Monate nach Eintritt des rückwirkenden Ereignisses und nicht nach § 233a Abs. 2 AO schon 15 Monate nach Ablauf der Streitjahre.

Das Finanzamt sah in dem Schreiben vom 10.6.2013 nur Einsprüche gegen die Steuerfestsetzungen und erst im Schreiben vom 30.12.2013 Einsprüche gegen die Zinsfestsetzungen. Es verwarf die Einsprüche gegen die Zinsfestsetzungen wegen Verfristung als unzulässig.

Im Zusammenhang mit dem Klageverfahren gegen die Steuerbescheide setzte das Finanzamt mit Bescheiden vom 13.4.2018 die Zinsen neu (niedriger) fest. Der Beginn des Zinslaufs wurde nicht geändert.

Den Antrag der Eheleute auf Änderung und Herabsetzung der Zinsfestsetzungen lehnte das Finanzamt ab. Die dagegen erhobene Klage der Eheleute wurde vom FG als unbegründet abgewiesen.

Entscheidung

Der BFH wies die Revision als unbegründet zurück. Es besteht keine verfahrensrechtliche Änderungsvorschrift, aus der die Eheleute einen Anspruch auf Änderung der Zinsbescheide vom 13.4.2018 herleiten können.

Nach § 233a Abs. 1 Satz 1 AO sind Unterschiedsbeträge bei der festgesetzten Einkommensteuer zu verzinsen. Der Zinslauf beginnt 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist und endet mit Ablauf des Tages, an dem die Steuerfestsetzung wirksam wird. Soweit die Steuerfestsetzung auf der Berücksichtigung eines rückwirkenden Ereignisses beruht, beginnt der Zinslauf abweichend von § 233a Abs. 2 Sätze 1 und 2 AO 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem das rückwirkende Ereignis eingetreten oder der Verlust entstanden ist.

Selbst wenn die Zinsen materiell-rechtlich (wie von den Eheleuten beantragt) nach einem späteren Zinsbeginn gem. § 233a Abs. 2a AO zu berechnen wären, können die Eheleute verfahrensrechtlich keine entsprechende Änderung der Zinsbescheide verlangen. Die Änderung lässt sich nicht auf § 233a Abs. 5 Satz 1 AO stützen. Die Vorschrift verlangt zwar die Anpassung eines bestehenden Zinsbescheids an eine geänderte Steuerfestsetzung. Sie betrifft aber lediglich die Höhe der Zinsen. Sie ermöglicht nicht, einen (vermeintlich) unzutreffenden Zinslauf zu korrigieren, der der Berechnung bereits festgesetzter Nachzahlungszinsen zugrunde liegt. Berechnungsfehler, die (wie hier geltend gemacht) ausschließlich den Zinsbeginn und nicht die festgesetzte Steuer betreffen, liegen außerhalb des Anwendungsbereichs der Anpassungspflicht gem. § 233a Abs. 5 Satz 1 AO. Sie können nur auf der Grundlage der nach § 239 Abs. 1 Satz 1 AO auf die Zinsfestsetzungen anwendbaren (allgemeinen) AO-Änderungsvorschriften korrigiert werden.

Die Voraussetzungen einer Korrekturvorschrift sind im Streitfall jedoch nicht erfüllt. Aus § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO ergibt sich keine Pflicht des Finanzamts, die Zinsfestsetzungen für die Streitjahre zu ändern. Denn die Einkommensteuer-Bescheide sind keine Grundlagenbescheide und die Zinsbescheide der Streitjahre insoweit keine Folgebescheide. Es fehlt an einer gesetzlich angeordneten Bindungswirkung im Verhältnis von Einkommensteuer-Bescheid und Zinsbescheid.

Auch aus § 129 Satz 1 AO ergibt sich keine Änderungsmöglichkeit. Das Finanzamt hat bei Erlass der Zinsbescheide vom 6.5.2013 und vom 13.4.2018 aufgrund seiner Rechtsauffassung die Regelung zum besonderen Zinslauf gem. § 233a Abs. 2a AO bewusst nicht angewendet. Die bewusste Nichtanwendung einer Rechtsnorm durch das FA begründet keine „ähnliche offenbare Unrichtigkeit“.

§ 177 Abs. 2 AO kommt gleichfalls nicht für eine Änderung in Betracht. Da die Zinsen in den Bescheiden vom 6.5.2013 bestandskräftig festgesetzt worden waren und in den Bescheiden vom 13.4.2018 zugunsten der Eheleute herabgesetzt wurden, besteht mangels eines Änderungsrahmens für eine saldierende Fehlerkorrektur zugunsten der Eheleute kein Raum.

5. Säumniszuschläge sind verfassungsgemäß

Gegen die Höhe des Säumniszuschlags nach § 240 Abs. 1 Satz 1 AO bestehen auch bei einem strukturellen Niedrigzinsniveau keine verfassungsrechtlichen Bedenken.

Hintergrund

Der Kläger wurde im April 2016 zum Insolvenzverwalter über das Vermögen des Insolvenzschuldners Z bestellt. Im Juni 2016 meldete das Finanzamt verschiedene Abgabenforderungen zur Tabelle an, u. a. auch Säumniszuschläge für den Zeitraum März 2015 bis April 2016. Der Kläger bestritt die vom Finanzamt angemeldeten Forderungen im Prüfungstermin im Juli 2016. Mit Schreiben vom 7.9.2017 erließ das Finanzamt wegen der Insolvenz die Hälfte der zur Insolvenztabelle angemeldeten Säumniszuschläge.

Da der Kläger die Forderungsanmeldung weiterhin bestritt, stellte das Finanzamt mit Feststellungsbescheid nach § 251 Abs. 3 AO vom 13.11.2017 Insolvenzforderungen i. H. v. insgesamt 28.005 EUR fest. Darin waren auch die Säumniszuschläge i. H. v. (nunmehr) insgesamt 576,50 EUR enthalten. Der gegen den Feststellungsbescheid gerichtete Einspruch des Klägers blieb erfolglos.

Mit der vor dem FG erhobenen Klage beantragte der Kläger, den Feststellungsbescheid so zu ändern, dass keine Säumniszuschläge festgestellt werden. Das FG entschied jedoch, dass die Säumniszuschläge hinsichtlich eines möglichen Zinsanteils weder ganz noch teilweise gegen das Verfassungsrecht verstießen.

Entscheidung

Die Revision wurde vom BFH unbegründet zurückgewiesen. Der BFH weist auf Folgendes hin:

Gegen die Höhe der Säumniszuschläge bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken.

Die vom BVerfG herausgearbeiteten Grundsätze, nach denen die Verzinsung nach §§ 233a, 238 AO i. H. v. 0,5 % pro Monat für Verzinsungszeiträume ab dem 1.1.2014 mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar ist, lassen sich nicht auf Säumniszuschläge übertragen.

Säumniszuschläge nach § 240 AO lassen sich mit der Verzinsung von Steuernachzahlungen und Steuererstattungen nach §§ 233a, 238 AO nicht vergleichen. Hinsichtlich der Säumniszuschläge fehlt es bereits an einer Ungleichbehandlung vergleichbarer Sachverhalte; eine Ungleichbehandlung zwischen zinszahlungspflichtigen Steuernachzahlern und säumniszuschlagszahlungspflichtigen Steuerpflichtigen ist mangels vergleichbarer Sachverhalte nicht gegeben.

Der im Vergleich zu den Zinsen doppelt so hohe Säumniszuschlag ist in erster Linie ein Druckmittel eigener Art zur Durchsetzung fälliger Steuern und erfüllt primär eine pönale Funktion. § 240 AO verfolgt das Ziel, den Bürger zur zeitnahen Erfüllung seiner Zahlungsverpflichtungen anzuhalten und die Verletzung eben jener Verpflichtung zu sanktionieren. Daneben ist der Säumniszuschlag Gegenleistung bzw. Ausgleich für das Hinausschieben der Zahlung fälliger Steuern und dient letztlich auch dem Zweck, den Verwaltungsaufwand der Finanzbehörden auszugleichen.

Die Ausführungen des BVerfG, mit denen es eine Erstreckung der Unvereinbarkeitserklärung auf die anderen Verzinsungstatbestände, namentlich auf Stundungs-, Hinterziehungs- und Aussetzungszinsen nach den §§ 234, 235 und 237 AO, abgelehnt hat, lassen sich zudem auch auf Säumniszuschläge nach § 240 AO übertragen.

Die Höhe des Säumniszuschlags verletzt ferner nicht das Rechtsstaatsprinzip nach Art. 20 Abs. 3 GG wegen eines Verstoßes gegen das Übermaßverbot.

6. Wann eine Heilpraktikertätigkeit gewerblich ist

Ein ausgebildeter Heilpraktiker, der zu betreuenden Personen mit seinem Unternehmen betreutes Wohnen als Gesamtleistung anbietet, wozu auch Einzelgespräche mit den Betreuten gehören, ist gewerblich tätig.

Hintergrund

Der klagende Steuerpflichtige bietet erwachsenen Menschen mit einer psychischen Erkrankung, einer körperlichen oder geistigen Behinderung oder einer chronischen Suchterkrankung Unterstützung bei einer selbstbestimmten Lebensführung an. Bei den Patienten handelt es sich um kranke Personen, die in ihrer Wohnung betreut werden müssen. Sie sind nicht mehr in der Lage, sich allein in ihrer Wohnung zu versorgen.

Der Steuerpflichtige beschäftigt hierzu Fachkräfte, insbesondere Altenpfleger und Erzieher. Er selbst ist nach seiner Ausbildung Diplom Sozialarbeiter, Diplom Kunsttherapeuten und Heilpraktiker für Psychotherapie. Er ist der Auffassung, die Tätigkeit sei freiberuflich i. S. v. § 18 EStG, während das Finanzamt von einer gewerblichen Tätigkeit ausgeht.

Entscheidung

Die Klage hatte keinen Erfolg.

Im Streitfall führte der Steuerpflichtige ein Unternehmen, das betreutes Wohnen als Gesamtleistung anbietet, wozu u. a. auch Einzelgespräche mit ihm gehören. Hierin sieht das FG keine heilpraktische Tätigkeit, sodass eine gewerbliche Tätigkeit vorlag und es auf die weiteren Kriterien des § 18 EStG nicht ankam.

Das FG stellte klar, dass allein die Ausbildung in einem Katalogberuf nicht ausreicht, um jede der Tätigkeiten des Steuerpflichtigen auch als solche des Katalogberufs einzustufen. Denn die im Streitfall zur Verfügung gestellten bzw. angebotenen Leistungen erfüllten nicht die Kriterien einer selbstständigen/heilenden Tätigkeit oder die eines Heilpraktikers, sodass diese insgesamt nicht als solche den Einkünften aus § 18 EStG zuzurechnen sind.

Außerdem fehlt es an der leitenden und eigenverantwortlichen Tätigkeit des Steuerpflichtigen, der seine Patienten nach 4 Wochen an seine Mitarbeiter abgibt und damit keinen Einfluss mehr auf den weiteren Fortgang der Behandlung nimmt.

7. Zur Bildung von Rückstellungen für zukünftige Bonuszahlungen an Arbeitnehmer

Eine Rückstellung kann auch dann gebildet werden, wenn die Verbindlichkeit mit hinreichender Wahrscheinlichkeit dem Grunde nach künftig entsteht, wobei deren Höhe ungewiss sein kann. Eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für die Entstehung kann sich daraus ergeben, dass Mitarbeiterboni ohne rechtliche Verpflichtung seit Jahren gezahlt werden.

Hintergrund

Die A-GmbH zahlte ihren Arbeitnehmern nach Ablauf eines guten Geschäftsjahres Mitarbeiterboni. Hierüber gab es bei einem Teil der Mitarbeiter keine schriftlichen Vereinbarungen, bei anderen wurde im Vertrag informell festgehalten, dass es sich um eine freiwillige Leistung ohne Rechtsanspruch handele. In den Jahren 2011 bis 2013 wurde in jedem Jahr ein Bonus ausbezahlt.

Für das Streitjahr 2014 wurde Anfang 2015 eine Bonuszahlung per Mail angekündigt und im März 2015 ausbezahlt. Den Betrag stellte die A-GmbH in eine Rückstellung ein.

Im Zuge einer Betriebsprüfung stellt sich das Finanzamt auf den Standpunkt, dass die Grundsätze der Bilanzierung schwebender Geschäfte der Bildung der Rückstellung entgegenstünden. Der Bonusanspruch hänge von erst in der Zukunft liegenden Vorbedingungen ab, da über die Höhe erst im Folgejahr und abhängig von der zukünftigen Gewinnsituation der Gesellschaft entschieden werde. Der Bonusanspruch sei auch nicht vertraglich oder durch eine Betriebsvereinbarung fixiert.

Der Einspruch gegen den entsprechenden Körperschaftsteuer-Änderungsbescheid blieb erfolglos.

Entscheidung

Nach dem Urteil des FG bestand zum Stichtag die hinreichende Wahrscheinlichkeit des künftigen Entstehens einer Verbindlichkeit dem Grunde nach, auch wenn die Arbeitnehmer keinen Rechtsanspruch auf den Bonus hatten. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH kann eine Rückstellung auch dann gebildet werden, wenn mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eine Verbindlichkeit dem Grunde nach künftig entsteht, wobei deren Höhe noch ungewiss sein kann.

Wegen des Freiwilligkeitsvorbehalts stand die Verbindlichkeit am Bilanzstichtag 31.12.2014 weder dem Grunde noch der Höhe nach mit Sicherheit fest. Allerdings war auf Grund der jahrelangen ständigen Ausübung die künftige Entstehung einer Verbindlichkeit am Bilanzstichtag mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten.

Diese hatte ihre wirtschaftliche Verursachung in der Zeit vor dem Bilanzstichtag. Bei den Boni handelte sich um ein zusätzliches Vergütungsinstrument für das abgelaufene Geschäftsjahr. Der Zusammenhang mit dem abgelaufenen Geschäftsjahr ergibt sich aus der Anknüpfung an die Höhe des Monatsgehalts und aus der „Information“ für neue Mitarbeiter, dass das Unternehmen „für Jahre mit gutem Geschäftsverlauf“ im Folgejahr einen Mitarbeiterbonus zahle.

Dass die Mitarbeiterboni zudem dem Zweck dienten, die Mitarbeiter auch für die Zukunft an das Unternehmen zu binden, hindert die Bildung einer Rückstellung für das Streitjahr nicht, da diese nur einen Nebenzweck darstellte.

Gegen die Höhe der Rückstellung spricht nach Auffassung des FG nicht, dass der genaue Betrag am Bilanzstichtag 31.12.2014 noch nicht vom Geschäftsführer der Klägerin festgelegt worden war. In der Mail mit der Bonusankündigung, die vor der Bilanzerstellung ergangen war, ist eine wertaufhellende Tatsache zu sehen, die in die Bewertung einfließen musste.

Es liegt auch kein schwebendes Geschäft vor, das die Rückstellungsbildung ausschließen würde. Bei einem schwebenden Geschäft wird vermutet, dass sich die wechselseitigen Rechte und Pflichten aus dem Vertrag wertmäßig ausgleichen. Im entschiedenen Fall hatte lediglich die Klägerin ihre Gehaltszusagen noch nicht vollständig erfüllt und war deshalb in Erfüllungsrückstand geraten.

Vereine

1. Gesetzesänderung: Mitgliederversammlung im Verein jetzt auch virtuell möglich

Der Bundestag hat am 9.2.2023 eine Gesetzesänderung beschlossen, die es Vereinen ermöglicht, auch ohne entsprechende Satzungsbestimmungen hybride und virtuelle Mitgliederversammlungen abzuhalten. Bislang war dies nur möglich, wenn dies in der Satzung vorgesehen war oder wenn alle Mitglieder dem schriftlich zugestimmt haben.

Hintergrund

Früher mussten Mitgliederversammlungen grundsätzlich in Präsenz stattfinden, wenn die Satzung des Vereins die Möglichkeit einer hybriden oder virtuellen Mitgliederversammlung nicht ausdrücklich vorsah oder alle Mitglieder dem ausdrücklich zustimmten. Im Frühjahr 2020 wurden vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie übergangsweise geltende gesetzliche Regelungen eingeführt, die Kapitalgesellschaften und Vereinen die Möglichkeit eröffneten, virtuelle Gesellschafter-, Haupt- und Mitgliederversammlungen abzuhalten. Von diesen Möglichkeiten haben Vereine und Gesellschaften in großem Umfang Gebrauch gemacht. Die coronabedingten Übergangsregelungen sind am 31.8.2022 ausgelaufen. Rechtzeitig vorher hat der Gesetzgeber für die GmbH und für die Aktiengesellschaft dauerhafte gesetzliche Grundlagen für virtuelle Gesellschafter-, Hauptversammlungen geschaffen; die maßgeblichen Bestimmungen im Vereinsrecht blieben jedoch unangetastet. Erst am 9.2.2023 wurde ein Gesetzesentwurf beschlossen, wonach in § 32 BGB ein neuer Abs. 2 eingeführt wird, der künftig virtuellen und hybride Mitgliederversammlungen bei Vereinen ermöglicht. Die Änderung trat am 21.3.2023 in Kraft.

Inhalt der Neuregelung

Die Neuregelung sieht vor, dass Mitglieder auch ohne Anwesenheit am Versammlungsort im Wege der elektronischen Kommunikation an der Versammlung teilnehmen und andere Mitgliederrechte ausüben können (hybride Versammlung). Damit ist es von Gesetzes wegen möglich, eine in Präsenz stattfindende Mitgliederversammlung abzuhalten, an der einzelne Mitglieder auch virtuell teilnehmen können. Zur Ausübung der Mitgliedschaftsrechte in der Mitgliederversammlung ist die physische Anwesenheit des einzelnen Mitglieds nicht mehr zwingend erforderlich. Wird eine hybride Mitgliederversammlung einberufen, können die Mitglieder künftig entscheiden, ob sie in Präsenz oder virtuell teilnehmen wollen.

Darüber hinaus ist es nach der Neuregelung auch möglich, rein virtuelle Mitgliederversammlungen abzuhalten. In diesem Fall können Mitglieder nicht in Präsenz teilnehmen, sondern ausschließlich im Wege der elektronischen Kommunikation. Der Begriff der elektronischen Kommunikation umfasst sowohl bei der rein virtuellen als auch bei der hybriden Mitgliederversammlung die Bild- und Tonübertragung im Wege einer Videokonferenz und daneben auch andere elektronische Kommunikationsmittel wie beispielsweise Telefon, Chat und Abstimmung per E-Mail. Die Auswahl des für den Verein jeweils geeigneten elektronischen Kommunikationsmittels überlässt der Gesetzgeber dem Vereinsvorstand.

Eine hybride Mitgliederversammlung kann durch den Vereinsvorstand jederzeit ohne Mitwirkung der Mitglieder einberufen werden.

Soll hingegen eine rein virtuelle Mitgliederversammlung stattfinden, müssen die Mitglieder dies entweder selbst beschließen oder den Vereinsvorstand durch Beschluss zur Einberufung virtueller Mitgliederversammlungen ermächtigen. Der jeweilige Beschluss kann innerhalb einer Mitgliederversammlung durch einfache Mehrheit gefasst werden, wobei dann erst die nächste Versammlung virtuell stattfinden kann. Alternativ kann die Einberufung einer virtuellen Mitgliederversammlung bzw. die Ermächtigung des Vorstands auch außerhalb einer Versammlung im Umlaufverfahren beschlossen werden, wenn sich jedes Vereinsmitglied schriftlich damit einverstanden erklärt. Wenn die Ermächtigung zur Einberufung virtueller Mitgliederversammlungen einmal erteilt wurde, kann der Vorstand alle künftigen Mitgliederversammlungen in dieser Form abhalten, bis die Ermächtigung durch Beschluss zurückgenommen wird.

Bei der Einberufung einer hybriden oder virtuellen Mitgliederversammlung muss der Vorstand bekannt geben, wie die Mitglieder ihre Rechte im Wege der Kommunikation geltend machen können. Dabei sind vor allem hinreichend genaue Angaben darüber zu machen, welches elektronische Kommunikationsmittel genutzt wird und mit welchen technischen Mitteln an der Versammlung teilgenommen werden kann. Dies soll sicherstellen, dass alle Mitglieder genügend Zeit haben, um sich auf eine virtuelle Teilnahme technisch vorzubereiten.